"Kultur am Scheideweg" von Arnold J. Toynbee

Die nächste Aufgabe, der Nächste Eintrag. Diesmal sind Eindrücke zu einem Essay von Arnold J. Toynbee (um den Bogen zum letzten Eintrag zu spannen: dem letzten Universalhistoriker), „Kultur am Scheideweg“, gefragt. Auch auf die Frage was meiner Meinung nach einen Essay ausmacht soll eingegangen werden.
Um dies zu tun, werde ich diesen Essay als Prototyp des Essays schlechthin ansehen. Dies ist erforderlich da ich in dieser Zeit nicht tausende Essays lesen will/kann und auch keine allgemeinen Definitionen von Essays lesen will.
Ausgangspunkt also: „Kultur am Scheideweg“ = Essay. Essay = „Kultur am Scheideweg“.



Toynbee beginnt mit einer Frage: „Wiederholt sich die Geschichte?“ Doch wieso stellt er sich genau diese Frage, angenommen es gibt unendlich viel Fragen, wieso dann diese? Genau darauf wird in der Einleitung eingegangen: Weil sie sich schon viele gestellt haben; weil sie wieder aktuell ist (1949) und weil Herr Toynbee dazu etwas zu sagen/schreiben hat. Genau das ist die Daseinsberechtigung oder, etwas schwächer formuliert, die Intention eines Essays.



Ob sich die Geschichte wiederholt ist aber nicht die eigentliche Frage des Autors (an sich selbst). Vielmehr geht es um die Auswirkungen dieser Wiederholung oder eben Einzigartigkeit von Ereignissen. Muss die Geschichte sich wiederholen oder kann sie es nur? Wenn sie es nur kann, kann jeder einzelne oder eine Gesellschaft sie beeinflussen oder liegt diese Möglichkeit zum Ausbruch aus der Endlosschleife nicht in „unserer“ Hand (Geist, Willen, …).



Wäre dieser Text kein Essay müsste jetzt der aktuelle Stand des Wissens in dieser Frage umrissen, neue Quellen gefunden, geforscht, usw. werden. Nicht so beim Essay, auf der zweiten Seite schon schreibt Toynbee, dass er jetzt offen seine eigene Meinung bekanntgibt:


„Seine Art, das Rätsel des menschlichen Lebens zu lösen, ist nicht die deterministische. Er glaubt daran, dass dort, wo menschliches Leben ist, auch Hoffnung wohnt und dass der Mensch mit Gottes Hilfe Herr seines Schicksals ist, zumindest zu einem Gewissen grad und in gewisser Hinsicht.“


Gott wohnt nicht in wissenschaftlichen Aufsätzen (nach einer Definition des Autors dieses Blogs über Wissenschaft), in Essays darf er das allerdings. Genauso wie Meinungen. Unbegründete Meinungen (Bitte mir nicht zu unterstellen ich halte Gott für eine unbegründete Meinung, ich meine nur Gott und unbegründete Meinungen kommen in Essays aber nicht in wissenschaftlichen Aufsätzen vor!).



(Anm.: Die unbegründete Aussage hier ist nicht, dass der Mensch mit Gottes Hilfe Herr seines Schicksals ist, sondern, die Gleichstellung einer deterministischen Welt mit einer hoffnungslosen; meiner Meinung nach)



Im nächsten Teil ist sehr schön zu sehen wie diese doch etwas unhandlichen Fragen auf einfachere heruntergebrochen werden um sie dann am Schluss wieder zusammenzuführen (z.B.: Was ist Geschichte? Gibt es andere zyklische Erscheinungen denen sich der Mensch nicht entziehen kann?); ein weiteres Erkennungsmerkmal eines Essays.



Im Weiteren werden Beispiele gebracht die die Antworten des Autors auf diese Fragen veranschaulichen. Hier steht auch nicht eine Beweisführung im wissenschaftlichen Sinn im Vordergrund, sondern eine Veranschaulichung der Sachverhalte. Es wird nicht versucht Dinge zu beweisen (was wohl bei sozial- und geisteswissenschaftlichen Fragestellungen sowieso nicht möglich ist), sondern sie plausibel zu machen. Eine sehr angenehme Art der Argumentation, wenn man vom Inhalt der vorigen Klammer ausgeht.



Die Verfolgung dieser Gedanken, die Beantwortung seiner Fragen, mit Untermauerung durch Analogien und Beispielen führen Toynbee dann zu folgender Schlussfolgerung:


„Wenn die menschliche Geschichte sich wiederholt, so tut sie das in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Lebensrythmus des Weltalls (!); die Bedeutung dieser Wiederholung aber liegt in dem Ziel der Weiterentwicklung, das sie allem Geschaffenen setzt. In diesem Sinne enthüllt sich das Wiederholungsprinzip in der Geschichte als ein Werkzeug der Freiheit schöpferischer Tat und nicht als ein Zeichen, dass Gott und Mensch die Sklaven des Schicksals sind.“



Doch hier noch nicht genug! Nicht Beantwortung der Frage war das Ziel Toynbees. Wenn man erkennt, dass der zyklische Untergang nicht deterministisch über uns hängt wie das Schwert des Damokles, man vielmehr die Geschichte beeinflussen kann wäre es ja auch von Vorteil vorzuschlagen was man tun sollte. Auf diese Forderungen soll hier nun aber nicht weiter eingegangen werden.



Abschließend kann ich nur sagen, wenn dieser Essay also für alle Essays steht, dann mag ich die Form des Essays sehr. Angenehm zu lesen, schöne und anregende Ideen, geschmückt mit Beispielen und Antworten auf längst gestellte Fragen die wohl in wissenschaftlichen Aufsätzen nie geklärt (oder auch nur angesprochen) werden könnten. Hoffentlich werde ich wenn ich groß bin einmal ein Essayist! (der allerdings an ein deterministisches Universum und die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (kontinuierliche (im Sinne einer sich nicht wiederholenden) Zeit) glaubt)
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